Escher-esk

In memoriam Walter Giesen

Irgendwann um den 15.Oktober 1990 saß ich zum ersten Mal mit ca 40 anderen Studenten in dem kleinen Seminarraum der Japanologie in Tübingen, als ein kleines Männchen den Raum betrat. Er hatte lange dunkle Haare, die scheinbar ungekämmt und durch einen Mittelscheitel geteilt waren und eine Brille an einem Brillenband, die ihm um den Hals hing. Zusammen mit einigen anderen Dozenten der Japanologie trat er vor die Studenten und begrüßte uns mit den Worten: „In zwei Wochen sitzt hier eh nur noch die Hälfte von ihnen!“

Dr. Walter Giesen war es, der meinen Ehrgeiz anspornte und nach 2 Wochen saß ich immer noch da, inzwischen waren wir nur noch 20. Auch zur Zwischenprüfung saß ich noch da, da waren wir nur noch 10 und leider war Dr. Giesen tragisch verstorben. Und schließlich machte ich als erste von vieren aus meinem Jahrgang meinen Abschluss. Er war nicht der einzige Grund, aber sein Satz am ersten Tag war ein wichtiger Grund nicht aufzugeben.

Warum schreibe ich das? Weil mir gestern an Tempel 12 zum ersten Mal deutlich wurde, warum er sich für buddhistische Ritualgesänge interessierte. Etwas, was mir mit 20 komplett nicht verständlich war und ich mich mehr als einmal über ihn lustig gemacht habe. Man könnte sagen, ich habe gestern dafür – und zu Recht – gebüßt

7 Uhr, kein Wettertaft

Ist bei meinem Haarschnitt ja nun auch wirklich nicht nötig. Ich kam um kurz vor 7 bei Tempel 11 an, soweit war alles nach Plan gegangen. Der Rucksack war perfekt gepackt, so dass alles was richtig schwer war oben auf lag. Als ich dann den Anfang des Weges zu Tempel 12 sah, dachte ich mich tritt ein Pferd. Stufen, nach oben, ohne Unterbrechung in Serpentinen, soweit das Auge sehen kann.

Vor mir sprintet ein Mit-Fünfziger los und ich nehme an, dass er das ganze in 4 Stunden geschafft hat. Jetzt ist mein Fitnesslevel echt ziemlich unterirdisch und nach den ersten 50 Stufen dachte ich ich muss gleich sterben. Da hatte ich ca 30 der ersten 500 Meter geschafft.

Vor mir lagen noch 6,4 km in ähnlicher Weise.

Handys können ein Fluch sein

Vorab: ohne mein Handy wäre ich bei diesem Trip aufgeworfen, aber gestern habe ich es gehasst, denn es hat stur immer weiter hinten auf dem Weg angezeigt, als ich auf der Karte dachte bereits gegangen zu sein. Und zu allem Überfluss hatte es recht. Das Schlimmste waren die Momente, wenn man wußte, dass man noch nicht ganz oben ist, aber der Weg wieder runter ging. Als ich schließlich an einem der großen Rastplätze ankam, von dem ich dachte es wäre auch der höchste Punkt, war ich absolut glückselig. Ich genoß die Ruhe, hielt Klönschnack mit einem Marthonläufer, der da trainiert (nicht fragen, nur wundern) und dachte jetzt geht es runter…

Das Zauberwort ist „noch“

Entweder habe ich nicht richtig geguckt, oder der Wunsch war Vater des Gedankens, aber ich hatte mich leider schade getäuscht. Plötzlich stand ich vor dem Schild „Henro Korogashi 2/6“ was so viel bedeutet, wie die zweite von sechs Prüfungen auf diesem Weg.

Lasst es mich so sagen, der Berg hat gut daran getan nichts zu sagen, als ich ihn angeschrien habe. Laut, sehr laut in drei Sprachen. Und zurück war keine Option. Ich bin also rauf, um dann mindestens genauso steil wieder hinabzusteigen um dann beim 6/6 遍路ころがし langsam aber sicher angefangenen habe zu verstehen, wie der Hase läuft.

300 Höhenmeter auf 800 m Strecke zu überwinden kann man nur auf eine Art: Schritt für Schritt. Es ist genauso wie mit einem Berg Arbeit, der vor einem liegt. Man sieht den ganzen Berg, macht zwei Sachen, der Berg ist immer noch da, man verliert den Mut und lässt es liegen um Pause zu machen, oder die Wäsche zu waschen. Als ich da so verzweifelt und am Ende meiner Kräfte auf einem Stein saß, zog an mir ganz unbekümmert ein japanisches Öhmken vorbei. Ausgestattet mit zwei Wanderstöcken (ok, keine 6 kg Gepäck, aber einen Tagesrucksack) suchte sie Schritt für Schritt, aber ohne Unterbrechung ihren Weg. Und das habe ich dann, ohne Stöcke allerdings, auch versucht und es geht. Nun bin ich von Natur aus eher der Sprintertyp und weniger der Langstreckenläufer… Aber ich habe ja noch ein paar solcher Strecken vor mir.

Denkste, Puppe!

Als ich dann endlich die Extreme Steigung überwunden hatte, dachte ich, dass es jetzt höchstens noch 400m sein könnte, aber weit gefehlt es war noch ein ganzer km und es ging die ganze Zeit, wenn auch nicht mehr so steil bergauf, ohne Unterbrechung, bis ich endlich vor diesem [ZENSUR] Schrein stand. Es war wie in diesem Eschergemälde, wo es immer nur treppauf (bzw. treppab) zu gehen scheint.

Als ich dann endlich oben ankam wurde ich belohnt. Eine Gruppe von buddhistischen Mönchen versammelte sich und rezitierte die Herzsutra und in dem Moment hat es sich gelohnt, den Weg gegangen zu sein. Einfach mal reinhören https://youtu.be/dp7_cely8IA

Die 8km danach waren, ähhh zwar bergab aber ausreichend anstrengend und meine Unterkunft irgendwie schräg, aber davon ein andermal.

Ein paar wenige Bilder, die ich in der Lage war zu machen


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