Ikigai ist Brötchen backen

Eigentlich hatte ich einen absoluten Verriss auf das Pornohotel geschrieben und wollte das posten, aber am Ende tut es nichts für mich und mögliche andere Gäste und für euch schon gar nicht, weshalb es jetzt bei booking.com und tripadvisor seinen Platz gefunden hat.

Viel lieber möchte ich mit euch diesen (wieder einmal) ungewöhnlichen gestrigen Tag teilen. Der Wetterbericht sah ab etwa 12 Uhr Mittags gruselig aus. Riesige Wassermengen wurden prophezeit und mir schauderte schon davor. Also bin ich in aller Herrgottsfrühe aufgestanden und habe mich um 5:00 auf den Weg gemacht.

Frei nach der Devise, jeder trocken gelaufene Kilometer ist ein Gewinn. Die Natur hier ist großartig und manche Strecke führte durch verwunschen anmutende Wälder an der Küste entlang. Der Regen kam spät dieses Jahr, dafür aber heftig und hat die Gebirgsbäche zu reißenden Wasserfällen werden lassen. Zuerst dache ich meine Brille wäre beschlagen, bis ich merkte, dass es einfach nur so dunstig war.

Bis auf 2,5km an mein erstes Tagesziel Tempel 38 heran regnete es zwar, war aber zu bewältigen (irgendwann gibt es ein Foto von dem Outfit, versprochen) nur leider war der Regen nicht sehr kooperativ und entschied sich eine Stufe zuzulegen. Wie es der „Zufall“ wollte, geschah das just vor einer Bushaltestelle. Ein schneller Blick auf den Plan zeigte: 30 min warten.

Wäre mir das in Berlin passiert, hätte ich genervt eine andere Route rausgesucht, aber hier, wo der Bus sechsmal am Tag fährt, war ich einfach nur dankbar. So einfach kann das Leben sein. Nun denkt bitte nicht, dass es sich um eine voll ausgebaute, überdachte Bushaltestelle gehandelt hätte …Die Bäume waren aber so nett das meiste aufzufangen.

Wer von euch Tonari no Totoro kennt, der wird sich an die Szene erinnern, in der Satsuki mit May auf dem Rücken und einem Schirm auf ihren Vater gewartet hat. Ich glaube ich hatte auch einen Totoro neben mir, also zumindest gefühlt, denn eigentlich hätte ich vollkommen durchnässt an meiner Unterkunft ankommen müssen… Einschub: Wer den Film nicht kennt, möge das bitte umgehend nachholen. Und bitte auf Japanisch ohne Untertitel. Ich biete gerne ab August Termine bei mir zuhause an 🙂

Der Bus war auf die Sekunde pünktlich und spuckte mich vor dem Tempel aus. Ich finde Google Maps toll, ohne diese App, wäre meine Reise sehr viel schwieriger. Es ist vor allem bei der Planung von Essenspausen hilfreich. Leider stimmen die Öffnungszeiten nicht immer überein oder das Cafe ist ganz außer Betrieb. Geschätzt auf dem Dorf würde ich sagen 1:3. Sprich 1 ist offen und 3 kann man vergessen. So auch da und das dringend notwendige Frühstück (es was inzwischen 11:30) blieb ein Wunschgedanke.

Ich hätte euch zu gerne Bilder von diesem Tempel gezeigt, aber es hat so gegossen, dass fotografieren absolut unmöglich war. Als ich meine Kalligrafie abholte fragte ich die Dame, ob sie mir einen Ort zum Essen empfehlen könne. Sie meinte zunächst, dass das Restaurant gegenüber des Tempels ginge und auf meinen Hinweis, dass das aber leider geschlossen sei, bekam ich DEN Geheimtipp. Ein kleines Cafe etwa einen Kilometer entfernt.

Das „Cafe“war so klein, dass ich zuerst daran vorbei gelaufen bin, aber dann fiel mir ein Schild auf wo selbst gebackenes Brot drauf stand und kaum begann ich die Tür aufzuschieben kam mir schon eifrig eine ältere Frau entgegen. sie bat mich Platz zu nehmen und ja, sie könne etwas zubereiten, ich müsse nur einen Moment warten denn der kucho (sowas wie Bezirksbügermeister) käme auch gleich zum Essen. Also setzte ich mich auf ein Podest, dass sonst als Ablagefläche dient und sie baute einen Klapptisch vor mir auf.

Der Raum duftete von fisch gebackenem Brot, Weißbrot versteht sich, denn Vollkornbrot ist kein Konzept, dass mit der japanischen Küche kompatibel ist.

Die Tür öffnete sich und ein Kunde kam herein, der mich anschaute einen Moment überrascht inne hielt und sich gar nicht mehr beruhigen konnte, dass ich Japanisch sprechen könne. Und schon wurde er sein Leid bei mir los. Er könne nicht verstehen, wie gaijins ohne Japanisch zu sprechen und nur mit dem Buch “Shikoku 88 Route Guide” ausgerüstet sich auf den Weg machen könnten. Irgendwie musste ich ihm recht geben. Ich weiß nicht, ob ich mir den Weg ausgesucht hätte, wenn ich nicht halbwegs kommunizieren könnte. Wir unterhielten uns noch ein bisschen über die verschiedenen Wege die ich von da zum nächsten Tempel nehmen könnte und ich fragte ihn um Rat, den ich eigentlich nicht brauchte, gehört sich halt so und am Ende schenkte er mir eines dieser leckeren anpan.

Zur Erklärung an kommt von anko, der süßen japanischen roten Bohnenpaste, die die Grundlage für die Mehrzahl der japanischen Süßigkeiten ist (wagashi). Pan ist das japanische Wort für Brot und aus dem Portugiesischen entlehnt, was wiederum mit der Faktorei auf Deshima zu tun hatte. Und um noch einen fun fact dazu zu stellen: Was bei uns Zuhause Knust hieß, also das Ende vom Brot, heißt in Japan pan no mimi. Mimi= Ohr und somit ist der Knust das Ohr vom Brot. Wird in Japan normalerweise abgeschnitten und nicht gegessen, weshalb ich es zu Studienzeiten immer für Umme bei dem Laden um die Ecke des Wohnheimes bekommen konnte.

Bei anpan handelt es sich also um ein Weißbrotbrötchen mit in dem rote Bohnenpaste eingebacken ist. Und einer der bekanntesten japanischen Anime Charaktere ist anpanman

Wo war ich? Ach ja, während ich mir also von ihm Rat geben ließ, ging die Schiebetür wieder auf und der kucho kam herein. Er hörte, wie ich mich mit dem Kunden unterhielt und war ebenfalls sehr überrascht. Fragte mich dann woher ich käme und als ich antwortete aus Deutschland, kam sofort: „Guten Tag, Danke“. Bis dahin war alles klar, das alte NHK Fernseh- oder Radiosprachprogramm hatte seine Spuren hinterlassen. Aber dann geriet ich in Bedrängnis. Er begann etwas zu rezitieren und ich hatte keine Ahnung was er wollte, bis ich „Götter und Funke“ und ein paar Noten die er beim Rezitieren anstimmte in Zusammenhang brachte und verstand, dass er die Ode an die Freude meinte.

Im Stillen dankte ich meinem Klassenlehrer, dass er uns musikalisch durch die Klassiker geprügelt hat. Aber vom Text hatte ich leider auch nicht sehr viel mehr.

Wir aßen das wunderbare teishoku (lunch) und unterhielten uns noch ein bisschen, bis er sich verabschiedete, wieder beteuerte, dass er sehr überrascht war, aber sich gefreut hätte und verschwand.

Das gab mir die Möglichkeit während eines Kaffees und eine nicht definierbare aber extrem leckere Süßigkeit mit der Besitzerin ins Gespräch zu kommen.

Ich fragte sie, ob sie aus der Gegend käme und sie bejahte. Ob denn die jungen Leute bleiben oder gehen würden und mit Bedauern bestätigte sie mir, was ich schon vermutet hatte. Ihre eigenen Kinder lebten in Osaka und Himeji und würden auf gar keinen Fall zurückkehren. Da sie schon Enkelkinder hat, wie sie mir voller Stolz erzählte und von ihrem ursprünglichen Job bereits pensioniert war, muss sie mindestens um die 65 gewesen sein. Was denn später mal wäre? Würde sie mit ihren Kindern zusammenleben? Ach, darüber wolle sie gar nicht nachdenken, war ihre Antwort.

Ich fragte sie, warum sie diese kleine Bäckerei aufgemacht hätte und die Antwort war umwerfend, einleuchtend und einfach: „Tanoshii“ “Es macht mir Spaß.” Und ihre Augen fingen an zu blitzen, als sie vom Backen erzählte und den verschiedenen Arten von Brot die sie herstellte. Mit Wiener Würstchen, mit Käse, aber auch Cremefüllungen und Karamell. In diesem winzig kleinen Laden stand vor mir eine alte, gebeugte, aber durch und durch glückliche und zufriedene Frau. Ich schaute sie an und fragte: „Das ist Ikigai, oder?“ Jetzt fing ihr ganzes Gesicht an zu leuchten und sie antwortete: „Hai, so desu!“


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